Beschreibung des Oberamts Leonberg/Kapitel B 7

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Gerlingen,
Gemeinde II. Kl. mit 1896 Einw. a. Gerlingen, Pfarrd., 1873 Einw., wor. 13 Kath. b. Solitude, K. Domäne, 23 Einw. – Ev. Pfarrei; die Katholiken sind nach Stuttgart eingepfarrt.

Am Fuße des Höhenzugs, welcher mit dem Engelberg bei Leonberg endet, lagert sich 1 Stunde östlich von der Oberamtsstadt das wohlansehnliche mit breiten, reinlich gepflasterten Straßen versehene Pfarrdorf Gerlingen. Gutes Trinkwasser spenden in reichlicher Fülle 6 laufende Brunnen, unter denen der vor dem Rathhaus gelegene vierröhrige, welcher das alte Standbild des heiligen Urban mit der Weintraube trägt, der bedeutendste ist. Überdieß befinden sich noch 7 Pumpbrunnen im Ort und mehrere namhafte Quellen außerhalb desselben an verschiedenen Stellen der Feldmarkung. Im Jahr 1838 ließen die Bewohner des obern Dorfs in der Nähe des Orts nach einem Brunnen graben und fanden auf 25′ Tiefe eine so reichhaltige Quelle, daß der Gemeinderath beschloß, dieselbe in das Dorf zu leiten um einen Rohrbrunnen zu speisen. Beim Anlegen der Wasserleitung kam man, 20 Schritte von der Quelle entfernt, auf eine zweite Quelle, die aus einer 18′ tiefen und 4′ im Durchmesser haltenden Spalte so stark entströmte, daß das Wasser einem Bache gleich durch das Dorf floß und im Stande gewesen wäre, ein Mühlrad zu treiben. Die Gemeinde ließ nun diese ergiebige Quelle fassen und für 2 Brunnen je mit 2 Röhren in das Dorf leiten, während die Übereich durch den Ort fließt. Das Wasser soll bittererdige und salzige Beimengungen haben, und dem Badwasser zu Giengen ähnlich seyn. (Nach einer chemischen Untersuchung des damaligen Oberamtsarztes Lechler und früheren Apotheker Scholl in Leonberg.)

Früher lag 1/4 Stunde nordwestlich vom Dorf ein See, welcher im | Jahr 1653 von der Herrschaft an die Gemeinde verkauft und darauf in ergiebigen Wiesengrund umgewandelt wurde.[1]

Die Pfarrkirche, welche die Stiftungspflege zu unterhalten hat, wurde nach einer an der nordwestlichen Ecke angebrachten Jahrszahl 1463 erbaut; die Langseiten des Schiffs sind durch Veränderungen entstellt, während die westliche Giebelseite mit ihrem spitzbogigen Eingang und einer künstlich construirten Fensterrose in der ursprünglichen germanischen Bauweise erhalten ist. Der mit einem halben Achteck schließende Chor scheint älter als das Langhaus zu seyn; er hat Strebepfeiler und schöne, im früh germanischen Style gehaltene Fenster. Der viereckige, massive Thurm, auf dem ein ziemlich hohes, spitzes Zeltdach sitzt, besteht aus drei Stockwerken, in deren oberstem mit gothisch gefüllten Fenstern versehenem, drei Glocken mit den Jahrzahlen 1597, 1700 und 1846 hängen. Im Innern ist die Kirche geräumig und hell; sowohl der Taufstein als die massive Kanzel sind übereinstimmend mit dem ursprünglichen Styl der Kirche gehalten. An einer die Emporkirche tragenden Säule ist die Jahrzahl 1581 eingeschnitten. Der Chor hat ein ausgezeichnet schönes Netzgewölbe, an dessen obern Gurtenkreuzungen Schlußsteine angebracht sind, die in der Richtung von Westen nach Osten folgende Figuren enthalten: 1) ein Schild mit einem Steinmetzenzeichen, 2) der heilige Sebastian, 8) der heilige Veit, 4) die heilige Barbara, 5) die heilige Katharina, 6) der Apostel Paulus, 7) der Apostel Petrus, 8) Maria mit dem Christuskinde, 9) das württ. Wappen und 10) ein Engel, welcher ein Steinmetzenzeichen hält. Auf dem westlichen Giebel steht aus Stein gearbeitet der heilige Petrus. Der Begräbnißplatz, der mit einer hohen Mauer versehen, die Kirche umgibt, wurde vor einigen Jahren verlassen und ein neuer auf der Südseite desselben angelegt.

Das 1828 erbaute Rathhaus mit Thürmchen und Uhr befindet sich in gutem Zustande. Das bequem eingerichtete Pfarrhaus, welches der Staat zu unterhalten hat, bildet mit seinen Nebengebäuden einen schön geschlossenen Pfarrhof. Die Nomination zur Pfarrstelle und die Confirmation steht dem Könige zu. Der Kirche gegenüber wurde 1818–19 das Schulhaus mit Lehrerwohnung erbaut. Überdieß befinden sich als öffentliche Gebäude im Ort: eine große Kelter mit 6 Bäumen, ein 1847 erbautes Gemeinde-Waschhaus, ein Armenhaus, eine dem Staate und eine dem Hospital Stuttgart gehörige Zehentscheuer.

| Grundherr des Orts ist der Staat. Der große Zehnten auf der Markung war nach Distrikten getheilt und gehörte theils dem Staat, theils dem Meßner, theils dem Besitzer des Hofs Mauer, theils aber dem Staat und dem Hospital Stuttgart gemeinschaftlich. Den kleinen Zehenten von der sog. Schmalsaat (von Erbsen, Linsen, Bohnen und Hirsen) hatte der Staat, den gemeinen kleinen Zehenten die Pfarrei zu beziehen. Der Heuzehente war in Distrikte getheilt: von dem sog. Auszehenten, sowie von den Waldwiesen im Madenthal bezog der Staat 1/3 und der Besitzer des Hofs Mauer 2/3, von dem sog. Einzehenten der Hospital Stuttgart 3/6, der Besitzer des ebengenannten Hofs 2/6 und der Staat 1/6.

Von den Weinbergen wurde theils der zehnte, theils der siebente Theil an den Staat und den Hospital Stuttgart gereicht. Grundherrliche Gefälle hatten sämmtliche Theilhaber am kleinen Zehenten zu erheben.

Die Luft des Orts ist rein und gesund; auch sind die Einwohner im Allgemeinen von gesunder und kräftiger Leibesbeschaffenheit, doch finden sich auch einige Cretinen und mehrere mit Kröpfen Behaftete unter denselben. In moralischer Beziehung sind die Einwohner fleißig, sehr wohlthätig und religiös, übrigens in ihrer Lebensweise zum Theil etwas üppig. Ihre Vermögensumstände gehören zu den mittelmäßigen, ihre Haupterwerbsquellen bestehen in Feldbau, Weinbau und Handel mit Holz; einen besondern Erwerb bieten die Steinbrüche, es werden namentlich gute, in der ganzen Umgegend zum Bauen gesuchte Keuper-Sandsteine sowie Muschelkalkdolomit zu Straßenmaterial, letzteres aus einem auf der Markung Ditzingen angekauften Bruche, gewonnen. Stubensandstein kommt auf dem südlich vom Ort gelegenen Gebirgsrücken allenthalben vor. Früher wurde auch der in der Nähe des Dorfs anstehende Gyps abgebaut.

Hagelschlag und Frühlingsfröste sind selten. Die Ernte tritt zu gleicher Zeit wie im Strohgäu ein, an dessen Saume die Markung liegt. Die Landwirthschaft ist in gutem Zustande; verbesserte Ackergeräthschaften und sonstige zweckmäßige Einrichtungen haben beinahe allgemein Eingang gefunden. Im Dreifeldersystem mit zu 5/8 angeblümter Brache werden die gewöhnlichen Cerealien, besonders aber auch Erbsen, Linsen, Ackerbohnen, Kartoffeln und sehr viel Futterkräuter, namentlich Klee gebaut. Als Handelsgewächse zieht man in nicht unbedeutender Ausdehnung Hanf und Reps; Mohn wird wenig gebaut. Auf den Morgen rechnet man Aussaat: 7 Sri. Dinkel, 4 Sri. Hafer, 2 Sri. Gerste, 3 Sri. Weizen, ebenso viel Roggen und 4 Sri. Einkorn; eingeheimst wird durchschnittlich per Morgen 8 Schfl. Dinkel, 5 Schfl. 6 Sri. Hafer, 3–4 Schfl. Gerste, 2 Schfl. 4 Sri. Weizen, ebenso viel Roggen und 4 Schfl. 2 Sri. Einkorn. Die geringsten Ackerpreise sind per Morgen 80 fl., die mittleren | 300 fl. und die höchsten 400 fl. Getreide wird viel nach Stuttgart verkauft.

Die ergiebigen Wiesen, von denen nur 1/6 bewässert werden kann, sind zweimädig, mit Ausnahme der Waldwiesen, welche nur einen Schnitt zulassen. Der jährliche durchschnittliche Ertrag wird zu 20 Ctr. Heu und 8 Ctr. Öhmd vom Morgen angegeben.

Der Weinbau ist bedeutend; es gedeihen vorzugsweise Silvaner, und Elblinge; ein Morgen trägt im Durchschnitt 4 Eimer Wein, der zu 20–50 fl. per Eimer in die nächste Umgegend, besonders aber in den Schwarzwald abgesetzt wird. Die höchsten Preise eines Morgens sind 600 fl., die mittleren 400 fl. und die geringsten 180 fl.

Das Obst gedeiht vortrefflich, es wird in großer Ausdehnung gezogen und nach Außen verkauft. Außer den gewöhnlichen Mostsorten pflanzt man vieles Tafelobst und etwas Zwetschgen, auch ließ in neuester Zeit die Gemeinde auf einer Allmande etwa 600 Kirschenbäume setzen.

Aus den bedeutenden Gemeinde-Waldungen werden jährl. 500 Klftr. und 40.000 St. Wellen bezogen; hievon erhält jeder Bürger gegenwärtig eine Gabe von 1/2 Klftr. Buchenholz und 50 St. Wellen nebst 1/2 Klftr. Forchenholz und 15 St. Wellen. Der Rest wird verkauft und gewährt der Gemeindepflege eine Einnahme von etwa 600 fl. Auch hat die Gemeinde aus ihren Waldungen das nöthige Bauholz zu dem Schloß in Ditzingen zu liefern und an den Besitzer desselben, nach einem zwischen der Gemeinde und dem Badenschen Kammerherrn, Hauptmann v. Münchingen, am 16. März 1802 abgeschlossenen Vertrag je nach Umständen 8–20 Klftr. Brennholz nebst dem Reisach unentgeldlich abzugeben.

Die Weiden, deren es etwa 500 Morgen sind, werden nebst der Stoppelweide für Schafe um etwa 400 fl. jährlich verpachtet.

Der aus einer guten Landrace mit Simmenthaler und Limpurger Kreuzung bestehende Rindviehstand, für welchen 5 Farren gehalten werden, ist vorzüglich, auch wird mit Rindvieh einiger Handel getrieben. Die Schafzucht nimmt ab; es werden etwa 500 Bastarde auf der Markung geweidet und im Ort überwintert; die Wolle geht nach Calw, Böblingen und Reutlingen; der Pferch erträgt jährlich etwa 600 fl. Die Schweinezucht ist wie die der Ziegen nicht unbedeutend; die Bienenzucht wird dermalen in 54 Stöcken betrieben.

Der Ort hat 1 Bleiche, 3 Schildwirthschaften, 1 Kaufmann und 3 Krämer. Die Handwerker arbeiten meist nur für das örtliche Bedürfniß; eine Ausnahme machen die Steinhauer, Maurer, desgleichen einige Schuster und Schneider, welche auch in die Umgegend, namentlich nach Stuttgart arbeiten.

Vicinalstraßen gehen nach Leonberg und Weil dem Dorf.

| Außer der Volksschule, an welcher ein Schulmeister, ein Unterlehrer und ein Lehrgehilfe angestellt sind, besteht seit 1844 auch eine Industrie-Schule.

Neben den schon gedachten Einnahms-Quellen besitzt die Gemeinde auch zinstragende Geld-Kapitalien, s. hierüber die Tabelle III. Das Stiftungsvermögen besteht in 5932 fl.; auch ist eine Schulstiftung von 215 fl. vorhanden.

Über die bei Gerlingen entdeckten römischen Alterthümer s. den allgemeinen Theil.

Südlich vom Ort auf einem Bergvorsprung (Schloßberg) stand die Burg der Herren von Gerlingen, von der noch namhafte Gräben und Wälle sichtbar sind[2] und etwa 1/4 Stunde nordöstlich vom Dorf lag im sogenannten Malmthal ein später als Forsthaus benütztes Waldbruderhaus (Bes. Virg. 554). Ferner findet sich auf der Markung nordwestlich der Solitude eine Stelle, „beim alten Haus“ genannt, wo noch Spuren von Gewölben sich zeigen, auch sieht man etwa 3/4 Stunden südlich von Gerlingen am obern Rande des Krummbachthals noch Wall und Graben von einer ehemaligen Burg, deren Name nicht mehr bekannt ist.

Der Ort Gerlingen selbst, ursprünglich Gerringen geschrieben, erscheint zuerst im Jahr 797, mit der Bezeichnung als im Glemsgau gelegen, in einer Urkunde des Klosters Lorsch (Cod. Laur. nr. 3555). Er gehörte zu dem Bezirke der Grafen von Calw, wie aus dem Umstand erhellt, daß Herzog Welf VI. († 1191), der Erbe eines Theils der Calwer Grafschaft, die Dienstherrlichkeit über die von Gerlingen hatte (wenigstens machte um 1150 Wortwin von Gerlingen eine Schenkung astante domno suo Welffone. Cod. Hirs. ed. Stuttg. 78). Von Welf VI. mag die Hoheit über die Pfalzgrafen von Tübingen an Württemberg übergegangen sein, welch letzteres am 31. October 1339 auch dem Grafen Ulrich von Aichelberg hiesige Güter abkaufte.

Von dem Ortsadel, welcher unter der Lehensoberherrschaft genannter Besitzer der Ortshoheit stund, kommen vor: um 1100 Benso de Gerringen (Cod. Hirs. 34), um 1120 Adalbertus de Gerringen (ebenda 52), um 1150 obiger Wortwinus de Gerringen; später erscheinen die Namen Heinrich, Konrad, Werner und Burkhard. Diese Herren von Gerlingen waren, wie man aus dem gleichen Wappen, zwei Halbmonden mit gegen einander gekehrten Rücken, schließen möchte, Eines Stammes mit den Herren von Altdorf (Oberamts Böblingen), Breitenstein, Holzgerlingen, Thailfingen (Oberamts Herrenberg), Weil im Schönbuch.

| Von Klöstern waren begütert das Kloster Lorsch seit 797, 814, 817 (Cod. Laur. nr. 3555, 3554, 3556), das Kloster Hirschau seit c. 1100; dieses erhielt namentlich um 1140 von Adalbert von Dertingen, ferner unter Abt Mangold 1157–65 mehrere Jaucharte hiesiger Weinberge (Cod. Hirs. 34. 66. 83) und das Kloster Bebenhausen. Von letzterem ertauschte das Kloster Reichenau im Jahr 1226 hiesige Güter gegen Besitzungen in Echterdingen und belehnte damit die Grafen Konrad und Friedrich von Zollern, welche vorher mit den abgetretenen Echterdingischen Besitzungen belehnt gewesen waren, dieses letztere Lehen aber Behufs des Austausches dem Reichenauer Abte aufgesendet hatten. Wie früher in Echterdingen, so jetzt in Gerlingen, verliehen im genannten Jahre die Grafen von Zollern die Güter wieder als Afterlehen zunächst an Rudolf Hacgo (ohne Zweifel von Hoheneck bei Ludwigsburg), dieser wieder an die Ritter Rudolf Albert und Werinher von Richtenberg (auf dem Asperg).[3]

Im Jahr 1648 machte hier ein Weingärtner, Joh. Keyl, Aufsehen, welcher sich göttlicher Offenbarungen und engelischer Erscheinungen rühmte, den Untergang von sieben Städten verkündigte und dem Herzog Eberhard III. zum Wahrzeichen drei blutige Reben zu liefern versprach, welche er aber selbst mit Blut bestrichen. Er wurde endlich in Haft gebracht und als Betrüger mit Ruthen gehauen und des Landes verwiesen.

Als einen Theil der Markung Gerlingen ist besonders zu erwähnen:


Solitude.

K. Domäne, Sitz des Försters vom Revier Solitude. Auf einem Gebirgsrücken, der sich 1733 württ. Fuß über das Meer erhebt, liegt 11/2 Stunden südöstlich von Leonberg und 13/4 Stunden nordwestlich von Stuttgart das weithin sichtbare Schloß Solitude mit seinen Nebengebäuden. Das Ganze ist eine Schöpfung Herzog Karl’s, welcher einen über 800 Morgen großen Wald unfern der sogenannten fünf Eichen[4] ausroden – und in den Jahren 1763–1767 das Lustschloß mit den übrigen Gebäuden, nach dem Plan eines gewissen Weihing, erbauen ließ. Die nun weggenommene Inschrift des Schlosses besagte den ursprünglichen, vom Stifter bald wieder verlassenen Zweck des Gebäudes:

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| Tranquillitati sacrum voluit Carolus. An der hintern Seite des Schlosses war angeschrieben: Moderatore Carolo desertam solitudinem labor improbus quadriennio vicit MDCCLXIII–MDCCLXVII. Das im Rococostyl massiv aus Steinen erbaute Schloß bildet in seiner Grundform ein Oval mit zwei zu beiden Seiten sich anschließenden Pavillons. Um das Ganze lauft ein Arcadenbau, auf dem eine breite Gallerie ruht, zu welcher zwei Freitreppen führen. Das Schloßgebäude ist gut erhalten und hat im Innern noch seine ursprüngliche Einrichtung. Der Hauptgelaß besteht in einem ovalen, den ganzen Mittelbau einnehmenden Saal, der auf 28 korinthischen Halbsäulen ruht und mit einem vortrefflichen Deckengemälde von Guibal geziert ist. Rechts und links des Saals schließen sich kleine Zimmer und Kabinette an; von den letzteren enthält eines noch das mit chinesischer Stickerei überhängte Ruhebett des Herzogs, ein anderes die leeren, äußerst reich vergoldeten Schränke der herzoglichen Handbibliothek. Eine mit Schiefer gedeckte, durch künstliches Hängwerk getragene Kuppel schmückt den Mittelbau. Die ursprünglichen Verzierungen der Kuppel, eine vergoldete Statue und vergoldetes Laubwerk, wurden später abgenommen. Gegenwärtig ist auf der Kuppel ein Fernrohr angebracht, das auf einer Ortsscheibe gedreht und nach den von dem Punkte sichtbaren Orten, Ruinen etc. orientirt werden kann. Das ausgebreitete, liebliche, mit mehr als 60 Ortschaften bedeckte Panorama, welches sich hier dem Auge entfaltet, wird gegen Westen von einem dunklen, zum Theil von den Vogesen überragten Streifen des Schwarzwaldes, gegen Norden von dem Odenwald, gegen Osten und Süden theils von den Löwensteiner- und Welzheimer Bergen, theils in großer Ausdehnung von der Alp begrenzt. Hinter dem Schloß steht noch bogenförmig der sog. Cavaliersbau, ein sehr großes, im Mansardenstyl erbautes Gebäude, ursprünglich zur Wohnung des Hofs bestimmt. In dem rechten (südöstlichen) Flügel desselben wohnte Herzog Karl, der im Schloß selbst nie übernachtete; an diesen rückwärts anstoßend war die Schloßkapelle, in der sich noch reiche Stuccaturarbeiten und ein sehr gutes Deckengemälde von Guibal, die Auferstehung Christi vorstellend, erhalten haben. In dem linken Flügel war das Opern-Theater. Zu beiden Seiten des Cavalierbaues standen in ebenfalls bogenförmiger Anlage je 10 Pavillons (gegenwärtig je noch 7), welche ehemals durch brückenartige, bedeckte Gänge verbunden waren; sie hatten folgende Bestimmungen, und zwar die auf der rechten (südöstlichen) Seite gelegenen: 1) der Sommer-Speise-Saal, 2) der herzogl. Billard-Saal, 2) der Cavalier-Billard-Saal (abgegangen), 4) der Billard-Saal für die Söhne der Cavaliers und Offiziers (abgegangen), 5), 6) und 7) Wohnungen für die herzogl. Suite 8) Wohnung des Militär-Academie-Stallmeisters, 9) Speise- und Exercitien-Saal | der Edelknaben und 10) Wohnung der Edelknaben (gegenwärtig nicht mehr vorhanden). Auf der linken Seite: 1) die Mundküche, 2) die Bratenküche (abgegangen), 3) die Backküche (abgebrochen), 4) die Ritterküche, 5–9) Wohnungen für die herzogl. Suite (hievon ist 7 nicht mehr vorhanden) und 10) die Hausschneiderei.

Die dermalen noch, sowie das Schloß, auf Kosten der Staatsfinanzverwaltung erhaltenen Gebäude werden theils zur Domäne als Gastwirthschafts- und Ökonomie-Gebäude, theils als Wohnungen für einige Officianten und zu einer Samen-Auskleng-Anstalt für die Forstverwaltung benützt, theils sind sie der Militärverwaltung für Spital-Zwecke etc. vorbehalten.

Die an der breiten Kastanienallee noch stehenden Wohn- und Ökonomie-Gelasse des Revierförsters enthielten ehemals Schlafsäle für die herzogl. Militär-Academie; südöstlich von diesen befanden sich in einem Gebäude, das später zum Stallgebäude eines hier garnisonirten Husaren-Regiments eingerichtet war und jetzt als Schafhaus dient, die Lehrsäle und Wohnungen für die herzogl. Militär-Pflanzschule. Weiter vorhanden gewesene, nun spurlos verschwundene Gebäude sind: die Militär-Pflanzschule mit den dazu gehörigen Nebengebäuden und ausgedehnten Hofräumen, welche in der Nähe (südöstlich) des gegenwärtigen Schafhauses standen. An der Landstraße, nordöstlich der Förster-Wohnung und des Schafhauses stund die evangel. Kirche (die jetzt in Stuttgart stehende kath. Kirche); zu beiden Seiten derselben befanden sich Orangerie-Gebäude. Der große, später nach Stuttgart versetzte Marstall hatte seine Stelle westlich vom Schloß, unfern der Straße nach Leonberg; hinter demselben war die Reitschule. Der im Rücken der Schloßgebäude weit ausgedehnte, nach französischer Weise prachtvoll angelegte ehemalige Schloßgarten enthielt außer vielen Lauben, Garten-, Gewächs- und Vogelhäusern insbesondere: den Lorbeersaal, der in der Nähe des Reithauses stand (von dem Major Reinh. Ferd. Heinr. Fischer erbaut), zwei Orangeriegebäude und das prachtvolle chinesische Haus. Von den Gartenpartien zeichneten sich besonders aus: die über 1000 Stämme haltende Orangerie, welche den Sommer über nordwestlich vor dem noch bestehenden See aufgestellt war; der See selbst, in dessen Mitte eine Insel mit Pavillon lag, war mit schönen Gartenanlagen umgeben. An die Orangerie grenzte das grüne Theater, an welches sich der große Salon anlehnte; von diesem gelangte man einerseits in die Anlagen mit dem chinesischen Haus, anderseits in den Irrgarten. Neben dem Marstall, in der Richtung gegen Leonberg, bestand der mit einem Pavillon und 3 Springbrunnen versehene Garten der Herzogin Franziska, an den sich auf der hintern schmalen Seite der sog. Schnecke und neben die Plantation en Quinconce | anreihte; auf der andern Seite lag der Hoheitengarten. Außer diesen waren noch mehrere Partien, wieder Lorbeer- und Feigengarten, das Rosenparterre, der Blumengarten etc. vorhanden, welche zu der Pracht dieser Anlagen nicht wenig beitrugen. Zwischen der gegenwärtigen Försterwohnung und dem Schafhaus stand das große Monument, den Herzog Karl zu Pferd vorstellend, aus vergoldetem Gyps, dessen Umgebungen mit Orangenbäumen garnirt waren. Eine Forstbaumschule lag in ziemlicher Entfernung vom Schloß an der Straße nach Leonberg. Das ganze Areal der Gebäude und Anlagen begrenzten ringsum Waldungen, die auf weite Entfernungen mit breiten Alleen durchzogen waren; ein Theil derselben diente als Park für weiße Hirsche und Damwild.

Im Februar 1770 legte Herzog Karl allhier den Grund zu der berühmten Karls-Academie, welche im Jahr 1781 zur Universität erhoben wurde. Anfänglich wurden 14 Soldatenkinder ausgesucht, welche unter Aufsicht eines Hauptmanns zu Gärtnern angeleitet werden sollten, kurz darauf wurden noch 17 Kinder aufgenommen als Zöglinge der Bau- und Bildhauerkunst; noch am 14. Dez. desselben Jahres kamen weitere 50 Kinder, hauptsächlich Waisenkinder, hinzu und die Anstalt erhielt am letztgenannten Tag, welcher von nun an als Stiftungstag gefeiert wurde, den Namen Militärwaisenhaus, welcher 1771 in „Militärpflanzschule“ und 1772 in „Militäracademie“ verwandelt wurde. Seit 1775 wurde der Herzog des Aufenthalts auf der Solitude überdrüssig, und wie er selbst hinwegzog, so verpflanzte er auch die Militäracademie nach Stuttgart.

Jetzt sind die ausgedehnten Anlagen, welche sich ehemals eines europäischen Rufs zu erfreuen hatten, meist wieder zu Waldungen umgewandelt; nur etwa 80 Mrg., bestehend aus 30 Mrg. Äcker, 40 Mrg. Wiesen und 10 Mrg. Weide, bilden die K. Domäne und werden von einem Pächter im Dreifeldersystem rationell bewirthschaftet.

Der etwas magere, düngerbedürftige Keupersandboden hat eine thonige Unterlage und eignet sich hauptsächlich für den Hafer- und Kartoffelbau; übrigens gedeihen auch die gewöhnlichen Cerealien und Brachgewächse. Das Obst geräth, trotz der hohen, exponirten Lage, sehr gern. Trinkwasser liefert nur 1 Pumpbrunnen, dagegen sind noch einige Weiher in nicht zu großer Entfernung vom Schloß vorhanden, von denen der schon oben angeführte der namhafteste ist.

Obgleich die frühere Pracht der Solitude größtentheils verschwunden ist, wird sie dennoch, ihrer herrlichen Aussicht wegen, von den Bewohnern der Umgegend, besonders der Hauptstadt und von Fremden, immer noch häufig besucht; eine gute Gastwirthschaft, welche gegenwärtig der Pächter der Domäne betreibt, reicht den Besuchern Erfrischungen, und | Leidende, welche in der reinen, balsamischen Waldluft Stärkung suchen, finden in gut eingerichteten Zimmern Unterkommen und Verpflegung. Eine vor mehreren Jahren hier errichtete Ziegenmolken-Anstalt ging bald wieder ein.

Durch die Vicinalstraße von Stuttgart nach Leonberg und durch die schnurgerade Allee nach Ludwigsburg ist die Solitude mit der Umgegend in Verkehr gesetzt.

Diese Ludwigsburger Allee wurde als Basis zur Vermessung des Landes gewählt und im Spätjahr 1820 unter der Leitung des Professors Bohnenberger mit größter Genauigkeit gemessen, indem als Anfang der Basis der Mittelpunkt des Schlosses Solitude und als Endpunkt derselben eine bei Ludwigsburg errichtete Pyramide angenommen wurde (s. württ. Jahrb. 1822, I. S. 72–86).

Achthundert Schritte westlich von der Solitude bestund ein Friedhof, welcher namentlich in den Jahren 1796 und 1813, in welchen die Solitude als Militärspital verwendet wurde, viele Leichen von fremden und einheimischen Kriegern aufnahm; solcher wird nun mit Wald cultivirt.

Über die angrenzenden Wildparks s. die O.A.Beschreibung von Stuttgart, Amt.



  1. In dem Landbuch von 1624 wird Folgendes angeführt: Der Görlinger See, soweit er mit Wasser anlauft und wie er zu beeden Seiten versteint, begreift in sich 78 Morgen 1 Viertel. Der Seethamm und die Vieschgruben beim Seehaus, samt dem Graßboden darbey, helt 11/2 M. und hinder dem Seehaus 3/4 Ackhers. Würd besetzt mit 3700 Kärpflin.
  2. Im Jahr 1839 wurden noch bedeutende Fundamente ausgegraben und bei dieser Gelegenheit etwa 16 früh mittelalterliche Gefäße gefunden.
  3. Orig. Urk. Abt Heinrichs von Reichenau im Bebenhauser Archiv in Carlsruhe; Stälin, Wirt. Gesch. 2, 788, vergl. mit der Urk. Graf Friedrich’s von Zollern bei Stillfried Mon. Zoller 1, 34, wo curia Geringen statt curia Beringen zu lesen.
  4. Nach fünf riesenhaften, aus einem Stamm erwachsenen Eichen so genannt; die eigentliche Benennung des Waldes ist „Malmstall.“
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