Capgras-Syndrom

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Klassifikation nach ICD-10
F22.0[1] Wahnhafte Störung
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Das Capgras-Syndrom ist ein sehr seltenes Syndrom, bei dem der Betroffene glaubt, nahestehende Personen seien durch identisch aussehende Doppelgänger ersetzt worden. Es wurde nach Joseph Capgras (1873–1950) benannt.[2][3]

Symptomatik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Glaube, nahestehende Bezugspersonen seien durch Doppelgänger ausgetauscht worden, ist das einzige Symptom der Erkrankung, weshalb man das Capgras-Syndrom auch als monothematische Illusion bezeichnet. Da zudem die Erkrankung im Rahmen psychiatrischer Erkrankungen wie einer Psychose, einem Delir oder einer Demenz auftreten kann, fordern manche Psychiater, die Erkrankung nicht als Syndrom, sondern als Symptom zu bezeichnen.[4]

Pathophysiologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lange Zeit nahm man an, das Capgras-Syndrom sei mit der Prosopagnosie, der generellen Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen, verwandt. Neuere Forschungsarbeiten zeigen jedoch, dass die Gesichtserkennung ungestört ist, wohingegen die Verknüpfung zu emotionalen Körperreaktionen fehle.[5][6] Das Fehlen einer emotionalen Reaktion kann beispielsweise durch die Elektrodermale Aktivität festgestellt werden, da sich der Hautwiderstand bei emotionalen Empfindungen wie beim Anblick vertrauter Personen ändert.[7]

Historisches[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Syndrom wurde 1923 von dem französischen Psychiater Jean Marie Joseph Capgras erstmals (zusammen mit seinem Mitarbeiter Jean Reboul-Lachaux) beschrieben und ist nach ihm benannt. Capgras und Reboul-Lachaux verwendeten in ihrer Arbeit die Bezeichnung l’illusion des sosies („die Doppelgänger-Illusion“), um den Fall einer Madame M. zu beschreiben.[2]

In einem 1991 beschriebenen Fall einer Madame D. genannten Patientin erkannte diese alle nahen Verwandten problemlos wieder, behauptete jedoch, ihr Ehemann sei durch einen identisch aussehenden Doppelgänger ausgetauscht worden. Zuerst hatte sie den ehelichen Beischlaf verweigert und das Schlafzimmer verriegelt. Schließlich hatte sie ihren Sohn um ein Gewehr gebeten. Als sie mit Hilfe der Polizei psychiatrisch untergebracht werden sollte, zeigte sie erheblichen Widerstand. In einer örtlichen psychiatrischen Klinik wurde die Diagnose einer atypischen Psychose gestellt, die später als Capgras-Syndrom eingestuft wurde.[8]

Verarbeitung in Literatur und Film[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Lyrisch werden die Doppelgänger von Capgras von Adelino Dias Gonzaga in seiner Gedichtsammlung L’Amour du Fou erwähnt.[9]
  • Literarisch wurde das Thema von Richard Powers in seinem Roman Das Echo der Erinnerung bearbeitet.[10]
  • In der 13. Folge der 8. Staffel der Serie Scrubs – Die Anfänger ist einer der Patienten am Capgras-Syndrom erkrankt.
  • In der 2. Folge der 4. Staffel der Serie Profiling Paris ist ein Heckenschütze erkrankt.
  • Die Figur Debbie in dem Roman Human Croquet (1997) von Kate Atkinson (dt. „Ein Sommernachtsspiel“) glaubt, dass alle Familienmitglieder mit Ausnahme eines Babys durch Roboter ersetzt wurden.
  • In dem im Jahr 2014 erschienenen Film Ich seh Ich seh wird das Capgras-Syndrom thematisiert.
  • In der neuen Verfilmung Flatliners von 2017 wird das Capgras-Syndrom erwähnt, während die Ärzte sich über eine Diagnostik einer Frau austauschen.
  • In der 2. Folge der 2. Staffel der Serie "Perception" (ein Krimi auf Basis neurologischer Ereignisse) geht es um eine Dame, die am Capgras-Syndrom leidet.
  • In der 3. Folge "Unerwünschte Ziele" der 7. Staffel der US-amerikanischen Fernsehserie Criminal Minds (2011) leidet der Täter am Capgras-Syndrom.
  • In der vierten Folge der dritten Staffel der Serie "New Amsterdam" (2023) leidet die Mutter eines Patienten am Capgras-Syndrom.
  • In der 7. Folge der 3. Staffel der Serie „911 Lone Star“ leidet der Vater eines Anrufers in der Notrufzentrale am Capgras-Syndrom.
  • The Invasion of the Body Snatchers gilt als ein Klassiker des Genres der Körperfresser-Filme und reflektiert das Thema als dystopische Horrordarstellung.[11]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Alphabetisches Verzeichnis zur ICD-10-WHO Version 2019, Band 3. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), Köln 2019, S. 693.
  2. a b J. Capgras, J. Reboul-Lachaux: Illusion des sosies dans un delire systematise chronique. In: Bulletin de la Societe Clinique de Medicine Mentale. (1923), 2, S. 6–16.
  3. H. D. Ellis, J. Whitley, J. P. Luaute: Delusional misidentification. The three original papers on the Capgras, Frégoli and intermetamorphosis delusions (Classic Text No. 17). In: History of Psychiatry. (1994), 5 (17), S. 117–146. PMID 11639277
  4. H. Forstl, O. P. Almeida, A. M. Owen, A. Burns, R. Howard: Psychiatric, neurological and medical aspects of misidentification syndromes: a review of 260 cases. In: Psychological Medicine. (1991), 21 (4), S. 905–910. PMID 1780403
  5. H. D. Ellis, M. B. Lewis: Capgras delusion: a window on face recognition. In: Trends in Cognitive Sciences. (2001), 5 (4), S. 149–156. PMID 11287268
  6. Vilayanur S. Ramachandran: Phantoms in the Brain: Probing the Mysteries of the Human Mind. Harper Collins, New York 1998, ISBN 0-688-17217-2.
  7. Hadyn D. Ellis, Michael B. Lewis u. a.: Automatic without autonomic responses to familiar faces: Differential components of covert face recognition in a case of Capgras delusion. In: Cognitive Neuropsychiatry. 5, 2010, S. 255, doi:10.1080/13546800050199711.
  8. K. M. Passer, J. K. Warnock: Pimozide in the treatment of Capgras’ syndrome. A case report. In: Psychosomatics. Band 32, Nr. 4, 1991, S. 446–448, PMID 1961860.
  9. Adelino Dias Gonzaga, Vadim Korniloff, Edition promenade, Vadim Korniloff, Edition promenade: L' amour du fou. 1., neue Ausg Auflage. edition promenade, Fürth, Bay 2015, ISBN 978-3-944897-08-0.
  10. Richard Powers, Manfred Allié, Manfred Allié: Das Echo der Erinnerung: Roman. 3. Auflage. S. Fischer, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-10-059022-8.
  11. Christiane Peitz: Jessica Hausner und ihr Sci-Fi-Film "Little Joe": Der kleine Alltagshorror. In: tagesspiegel.de. 7. Januar 2020, abgerufen am 22. Dezember 2023.